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Automatisierungs- und Robotik-Lösungen werden für den Handel immer wichtiger. Auch an der Uni kommen die smarten Helfer nun zum Einsatz. Wie humanoide Roboter die Lehre verbessern können und was der Handel von diesem Experiment lernen kann, hat uns Prof. Handke von der Uni Marburg verraten.
Rund 100 Erstsemester warten aufgeregt auf den Beginn ihres ersten Linguistikseminars und staunen nicht schlecht, als statt Professor Jürgen Handke ein ca. 1,20 großer weißer Roboter den Hörsaal betritt. Was zunächst anmutet wie ein Gag, um die Aufmerksamkeit der Studierenden zu gewinnen, entpuppt sich als Teil einer innovativen Lehr- und Lernmethode, dem „Inverted Classroom“.
Für seine Lehre wurde der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Handke bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2015 mit dem Ars legendi-Preis für digitales Lehren und Lernen. Handke hat das gängige Prinzip der Vorlesung und Nachbereitung auf den Kopf gestellt: Wissen wird nicht mehr von einem Dozenten vorne an Tafel vermittelt, sondern die Studierenden kommen bereits vorbereitet in das Seminar. Damit das funktioniert, stellt Handke vorab eigens hierfür erstellte Lernvideos und Materialien auf einer digitalen Lernplattform bereit. Um sicher zu stellen, dass die Studierenden ausreichend vorbereitet sind, gibt es vor dem Seminar einen kleinen Test. Im Seminar selber geht es dann darum, das erlernte Wissen gemeinsam mit den Kommilitonen und dem Lehrenden zu vertiefen und offene Fragen zu erörtern. Dies ist der Zeitpunkt, an dem die Assistenz-Roboter namens Nao und Pepper ins Spiel kommen.
Herr Professor Handke, Roboter Pepper hat Ihr Anglistik Seminar eröffnet – was hat es damit auf sich? Brauchen wir zukünftig keine Professoren mehr in den Hörsälen?
Mehr denn je! Aber anders. Was wir nicht mehr benötigen, sind selbsternannte „Gralshüter des Wissens“, die immer zur gleichen Zeit am gleichen Ort im für alle einheitlichen Lerntempo Wissen vermitteln, das in Sekundenschelle über mobile Endgeräte abrufbar ist. Eine derartige Lehre, insbesondere im Grundlagenbereich, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Mit digitalen Lehr-und Lernszenarien wie denen des Inverted Classrooms passen wir nicht nur die Inhaltsvermittlungsphase an die Gegebenheiten des digitalen Zeitalters an, sondern wir erhalten eine völlig neue Form der Inhaltsvertiefung im Rahmen einer nachgeschalteten Präsenzphase.
Und in dieser Präsenzphase wird kein Inhalt mehr vermittelt, sondern es werden gemeinsam Aufgaben gelöst, es wird recherchiert, es werden fachspezifische Kompetenzen trainiert, und durch all diese kollaborativen Tätigkeiten entsteht ein hoher Beratungsbedarf, der für menschliche Lernbegleiter sehr herausfordernd ist. Und da können – so unsere Forschungshypothese – humanoide Roboter als Assistenten Aufgaben übernehmen, sodass die menschlichen „Coaches“ Freiräume für eine noch intensivere Betreuung der Lerner erhalten. Wir benötigen menschliche Lernbegleiter mehr denn je – nur nicht in der Form des frontalen Inhaltsvermittlers wie in den vergangenen Jahrhunderten.
Welche „Qualifikationen“ bringt Roboter Pepper mit?
Eigentlich kann Pepper werksseitig nichts von all dem, was wir von ihm erwarten. Wir müssen es ihm beibringen. Dabei nutzen wir natürlich seine eingebauten Fähigkeiten: Spracherkennung und Sprachsynthese, seine gesamte Sensorik (Kameras, Abstandssensoren, Berührungsdetektoren) und seine Möglichkeit sich zu bewegen. Was er sagt, wie und wann er reagiert, und welche Emotionen er dabei zeigt, das müssen wir schon selbst entwickeln und in Form von Roboter-Apps umsetzen. Und dann kann er viele Dinge erledigen, die uns sehr nützlich sein können.
Könnte man statt eines humanoiden Roboters nicht auch einfach Tablets oder Notebooks einsetzen? Welchen Vorteil sehen Sie im Einsatz von humanoiden Robotern?
Wollen Sie von einem Smartphone beraten werden oder von einem Kasten, der auf dem Tisch steht? Fragen beantworten können die ja, aber kaum mehr.
Es ist die Verkörperung menschlicher Verhaltensmuster, wie Bewegung, Gestik und Mimik, die es dem Roboter ermöglichen, Emotionen zu transportieren und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Und durch die Möglichkeit des Eingriffs in die Dialogführung können wir Menschen – auch unter Zuhilfenahme prosodischer Effekte wie Intonation oder Wortakzent – die Dialoge mitgestalten und dem Roboter, wenn auch vorprogrammiert – Ironie, Witz und manchmal auch Sarkasmus ‚einpflanzen‘, übrigens etwas, was zum Handwerkszeug von Linguisten gehört.
Und noch etwas: durch das humanoide, also menschenähnliche Erscheinungsbild entwickeln wir Menschen sehr schnell auch positive Beziehungen zu den Robotern, wir finden sie nett, süß, freundlich – wir mögen sie. Bei einem Smartphone oder anderen Sprachboxen entstehen diese Beziehungen nicht.
Verlassen wir einmal gedanklich den Hörsaal – in einer Edeka Filiale in Nürnberg-Fürth kommt Roboter Pepper bereits als Einkaufsassistent zum Einsatz. Sind Roboter die Zukunft des stationären Einzelhandels?
Eigentlich lassen sich alle Erkenntnisse aus unserer Forschung und Lehrtätigkeit auf den stationären Einzelhandel übertragen. Denn dort wo wir im Hörsaal die Assistenzfunktion des Roboters nutzen können und wo sie gewinnbringend funktioniert, klappt das auch im Einzelhandel. Roboter werden den Verkäufer nicht ersetzen, weil dem Roboter, wie erwähnt, noch diverse Fähigkeiten und Eigenschaften eines Menschen fehlen. Aber wie die Lernbegleiter im Hörsaal können sich die Verkaufsberater durch die Hilfe des Roboters noch intensiver um die persönliche Beratung ihrer Kunden kümmern.
Und gerade im stationären Einzelhandel können wir so für neuen Auftrieb sorgen und durch die Attraktivität der Roboter mit ihren Fähigkeiten zur witzigen Kommunikation für ein Gegengewicht zum immer stärker werdenden Online-Handel sorgen. Allein das ist doch schon ein Nachdenken über den Einsatz humanoider Roboter in der Arbeitswelt wert.
(Vanessa Tuncer)
Bildquelle: Handke/Uni Marburg
Prof. Dr. Jürgen Handke ist Universitätsprofessor an der Universität Marburg am Institut für Anglistik und Amerikanistik. Er hat das Forschungsprojekt „Project H.E.A.R.T.“ (Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching) ins Leben gerufen, in welchem er den Komplex „Roboter im Alltag“ im Hochschulkontext qualitativ untersucht, um Konsequenzen für die wachsende Verbreitung humanoider Roboter abzuleiten.
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